Ob Toaster, Besteck, Kopfkissen oder Gartenbank: Wenn es darum geht, Consumer-Produkte zu bewerben, wird inzwischen auf Profifotografen verzichtet. Die Produktfotografie erlebt derzeit einen extremen Wandel. Darüber und über die aktuellen Trends in der Produktfotografie sprachen wir mit dem Berliner Fotografen Robert Schlesinger. Er hat nicht nur über viele Jahre für Werbekampagnen der Automobilbranche fotografiert, sondern sich auch einen Namen als Porträt- und Lifestyle-Fotograf gemacht.
news aktuell: Im Vorfeld des Interviews hast du mir gesagt, dass die Produktfotografie gerade ziemlich disrupted wird. Inwiefern?
Schlesinger: Die Bilder, die wir in den Online-Shops sehen, werden kaum mehr manuell fotografiert. Vor allem, wenn die Produkte von fremden Herstellern sind, wird auf Profifotografen verzichtet. Im Prinzip läuft es so, dass der Verkäufer sich heute das Produkt, das er verkaufen will, online in irgendwelchen Dropshipping Markets raussucht, sprich, er hat es gar nicht selbst auf Lager, sondern das eigentliche Produkt ist in den meisten Fällen irgendwo in Asien. Das ist bei Produkten der Fall, die es hier gar nicht bzw. die es woanders – besser oder schlechter – nachgebaut gibt. Dann lässt er sich ein Demo-Produkt zukommen und stellt es bei sich zu Hause in eine Box.
news aktuell: Was für eine Box?
Schlesinger: Das ist eine 360-Grad-Fotobox - also eine Art automatisches Fotostudio, das dir mittlerweile in unter drei Sekunden komplette Packshots – also Produktfotos – liefert, die freigestellt und komplett schattenfrei beleuchtet sind und die dann direkt in die eigene Cloud hochgeladen werden. Die wiederum ist mit Shopify bzw. den gängigen Shopsystemen verbunden. Das macht es ultrasmart. Erst, wenn eine bestimmte Anzahl an Bestellungen eingegangen ist, werden die Produkte direkt aus Asien nach Deutschland an den Endkunden verschickt. So spart sich der Verkäufer die Lagerkosten, Verpackung, Versand, etc.
news aktuell: Das heißt, der Produktfotograf stirbt aus?
Schlesinger: Naja, nicht ganz. Im Premiumsegment, also bei hochpreisigen Fabrikaten oder It-Pieces wie teuren Taschen oder Schuhe – also Produkte, die wiederum sehr nah am Menschen sind und die auch reichweitenstark platziert werden sollen – legt man in der Regel schon noch Wert darauf, das Produkt in Verbindung mit dem Menschen abzulichten. Und das tun in der Regel immer noch Fotografen. Aber auch da gibt es mittlerweile ganz spannende Seiten. Aber das sollte ich eigentlich gar nicht verraten...
news aktuell: Ja?
Schlesinger: Das sind Tools, mit denen man sich Filmszenen schon für zehn Dollar herunterladen kann. Etwa, wie Mann und Frau am Strand entlanglaufen, sich umarmen, im Sonnenuntergang stehen. Dann kannst du dein eigenes T-Shirt-Design auf die T-Shirts der Personen im Film draufspielen. Und hast am Ende eine komplette Image-Kampagne, einen Trailer und Banner, den du auf deiner Webseite laufen lassen kannst. Das suggeriert dem Kunden, dass das Produkt besonders wertig und angesagt sein muss, denn wer es schafft, um sein Produkt so eine große Szene zu entwickeln, der muss ja am Markt gut platziert sein.
news aktuell: Du fotografierst ja schon länger für Audi. Audi würde das nicht so machen, oder?
Schlesinger: Sagen wir mal so, bisher hatte man in der Automobilbranche relativ aufwendige Produktionen gefahren, die aber meistens am eigentlichen Absatzmarkt vorbeigingen. Diese Inszenierungen, etwa vom Auto in der Wüste von Arizona oder völlig abgespaced in irgendeiner City in Shanghai, sind nicht wirklich im Kopf hängengeblieben, oder? Große Autokampagnen, selbst Out-of-Home oder doppelseitige Printanzeigen, werden immer weniger wahrgenommen. Deshalb hat man sich entschieden, lieber kleinere Produktionen zu fahren und Influencer oder sogenannte Creators einzubinden. Die können innerhalb von 14 Tagen völlig frei eine Story kreieren. Die Marketingabteilungen picken sich am Ende die 20-30 Masterpieces raus, bei denen sie nicht einen Cent investiert, sondern einfach nur das Produkt und den Faktor Zeit zur Verfügung gestellt haben. Daraus bauen sie dann eine Social-Media-Kampagne und versehen sie mit Ads.
Auf diesem Weg haben sie viel mehr trackbare User Experience und messbare Conversions, als wenn sie mit langem zeitlichen Vorlauf Plakate aufhängen, was viel Geld kostet und gleichzeitig riesige Streuverluste mit sich bringt. Gerade im Sommer werden Werbeplakate viel schlechter wahrgenommen, Bäume stehen davor, die Straßen sind voll, kein Mensch schaut mehr aktiv hin – zumal im Zeitalter von Smartphones alle mit sich selbst beschäftigt sind. Außenwerbung funktioniert nicht mehr so gut wie noch vor vier fünf Jahren.
news aktuell: Also den Consumer lieber da abholen, wo er die meiste Zeit verbringt? Im Hochformat auf dem Handy-Display?
Schlesinger: Genau. Deshalb wandern Kampagnen ab ins Social Web. Da ist es egal, wie groß oder klein die Bilder sind. Die Auflösung ist egal, man hat immer relativ smarte Bilder, die man sehr schnell austauschen kann, weil man ja einen riesengroßen Pool an Fotografen hat, die in erster Linie umsonst fotografieren. Manchmal bekommen sie eine Aufwandsentschädigung von 500 bis 1000 Euro. Diese Fotografen haben ja auch gar nicht die großen Kostenstrukturen wie Profifotografen. Für sie ist es schon faszinierend, wenn sie das Premium-Auto bewegen können und noch dazu für ihr Portfolio Bilder generieren.
news aktuell: Die Influencer disrupten damit die Produktfotografie, oder?
Schlesinger: Ja, da ist ein ganz eigener Markt entstanden. Es gibt mittlerweile Agenturen, die im direkten Kontakt mit den Marketingabteilungen stehen. Audi hätte gerne fünf geile Shots vom neuen Elektroauto. Dann schreibt die Marketingagentur die Kampagne auf Instagramkanälen 5 bis 10 Tage vor Start aus und Influencer bewerben sich auf diesen Job. Die Agentur agiert als Broker für den Kunden. So funktioniert heute Autowerbung: schnell austauschbar, schnell umzusetzen, super individuell, ohne Risikofaktor für die Marketingabteilung und für die Produktion. Das ist eigentlich relativ spannend, aber zerstört eben auch gerade einen ganzen Markt.
news aktuell: In zweifacher Hinsicht, oder? Einerseits, weil sich die Technik so weiterentwickelt, dass es keinen Profifotografen mehr braucht, und andererseits, weil Konsumenten von den klassischen in die neuen Medien abwandern und so die traditionellen Werbekanäle wie Plakat oder Printanzeigen an Reichweite verlieren.
Schlesinger: Es gibt schon noch große Kampagnen, aber man hinterfragt mehr, ob das noch zeitgemäß ist. Man möchte heute alles messen und skalieren können. Und eine Out-of-Home- oder eine Print-Kampagne kann man eben nicht wirklich messen. Außerdem ist die Halbwertzeit von Kampagnen extrem gesunken, weil die Produktzyklen immer kürzer werden. Da macht niemand mehr mal eben Produktionen ab 500.000 Euro, mit großen Reisen und Team mit mehr als 20 Leuten. Stattdessen wird das meiste mit Backplates, großformatigen Hintergrundfotos, gemacht. Das Auto wird in ein Studio gefahren oder am Rechner designed und dann werden die Hintergründe einfach ausgetauscht. So kann jedes mögliche Szenario eingeblendet werden.
news aktuell: Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es bei Produktfotografie darauf ankommt, den haptischen Reiz mit den Augen zu vermitteln. "Man muss es ablecken wollen", hat Steve Jobs gesagt und bezog sich dabei auf die iPhone-Buttons. Wie kann das gelingen?
Schlesinger: Smartphones werden und wurden nie fotografiert. Die Bilder sind alle mit CGI, also Computer generated Imagery, kreiert. Das ist absolute High-End-Entwicklung, von den besten CGI-Mastern der Welt. Alles, was du siehst, wurde am Rechner gebaut, so dass es am Ende so geil aussieht: vom Licht, das genau an der Kante bricht, bis hin zur Hand, die das Device hält.
news aktuell: Unglaublich. Gibt es denn dann außer im Premiumsegment überhaupt noch Produkte, die fotografiert werden?
Schlesinger: Das sind vor allem Produkte, die sich stark ins Lebensumfeld integrieren. Etwa Kühlschränke. Diese Produkte werden immer smarter: Der Kühlschrank sagt mir, was noch drin ist. Und da schlägt man dann die Brücke zum Marketing-Foto: Familie im Supermarkt mit Kind auf dem Arm steht vor dem Kühlregal und schaut aufs Smartphone, das anzeigt, was noch im Kühlschrank ist. Und gleichzeitig auf der anderen Seite das Bild, wie der Kühlschrank zu Hause deinen Füllzustand anzeigt. Ah, guck mal, so smart sind unsere Geräte.
news aktuell: Und in welcher Bildsprache zeigt man dann den Kühlschrank?
Schlesinger: Bei Produkten wie dem Kühlschrank ist der Markt weiterhin auf visuelle Überhöhung ausgerichtet. Wir wissen alle, dass unser Kühlschrank, wenn wir ihn aufmachen, nicht so geil aussieht wie auf dem Foto. Wir wissen alle, dass die Frau im Supermarkt mit Kind auf dem Arm nicht Mitte 20 ist und supersmart und entspannt mit einer Top-Frisur einkaufen geht. Aber das ist es, womit die Marketingabteilungen am Ende die Kunden immer noch abholen. Konkret für die Bildsprache heißt das: sehr geleckte Fotografie, sehr colourful, sehr poppig, sehr technisch, sehr Future. Zwar am Ende aus Einzelbildern zusammen gebaut - aber im Ergebnis eben doch noch echte Fotos.
news aktuell: Welche anderen visuellen Trends beobachtest du derzeit noch?
Schlesinger: In einem anderen Segment geht es wiederum um mehr Realness, etwa im Bereich Fashion. Zum Beispiel, wenn Zalando eine Kollektion von einer neuen Brand bewirbt. Da geht es um Nachhaltigkeit und Diversity, die Bildsprache arbeitet eher mit gedeckten Farben, verrauschten, auch gern unscharfen Bilder, sehr moody, wenig Kontraste, Ton in Ton. In der Fashion-Branche wird auch noch sehr viel fotografiert und sogar wieder analog, weil man da einen Look erzielt, den man lange nicht mehr gesehen hat.
news aktuell: Analog fotografieren, also Filmrolle und in der Dunkelkammer entwickeln?
Schlesinger: Genau. Jede Menge Fotografen rennen mit 36er-Filmen rum und machen am Tag maximal 400 Bilder, die sie dann entwickeln lassen oder selbst entwickeln. Das Risiko, nicht zu wissen, was dabei rauskommt, ist hier der Kick. High Fashion Brands wie Valentino, Lacoste oder Boss haben die letzten Kampagnen nahezu alle analog fotografiert.
news aktuell: Und was kommt nach der Analogfotografie? Wo geht die Reise hin?
Schlesinger: Zalando hat mal gesagt, dass sie kein einziges Produktfoto mehr im Shop haben werden, sondern nur noch Videos. Sprich, alles wird abgefilmt, um die Produkte in Bewegung zu zeigen: Wie fällt das Licht? Wie der Stoff? Die Entwicklung geht also weg vom Statischen zum Dynamischen, hin zum Detail und zur Interaktivität. Du hast also zum Beispiel ein Bild einer Tasche, kannst zum Verschluss zoomen, dann draufklicken und die Tasche öffnet sich. Oder du kannst sehen, was mit der Hose passiert, wenn du dich hinsetzt, wo die Sitzfalte ist, wie die Beine abschließen.
news aktuell: Wer wird diese Videos machen?
Schlesinger: Die Aufmachervideos bzw. die großen Leitkampagnenbilder werden immer noch Menschen machen. Aber alles andere diese Boxen, weil sie einfach super smart sind. Da sind 75 Scheinwerfer verbaut, die von allen Seiten blitzen. Die Kamera sucht sich dann immer nur die Sequenz raus, in der das Bild am besten aussah, setzt die Best-Ofs der einzelnen Shots zusammen und innerhalb von paar Sekunden ist alles fertig im Online-Shop.
news aktuell: Aber wenn es nur noch eine Maschine macht, die nach bestimmten Kriterien programmiert ist, schauen dann nicht alle Bilder in allen Shops gleich aus?
Schlesinger: Ja, das stimmt, das ist am Ende aber auch egal. Den eigentlichen Produktshot wird keiner mehr aufwendig inszenieren. Da willst du ja nur das Produkt als solches zeigen und auch eine klare Struktur im Shop schaffen. Ich kenn jedenfalls keine Shopsysteme, die verspielt sind und superindividuelle Produktfotos abbilden. Dafür gibt es eben die Leadkampagnen mit spannenden Aufmacherfotos, die auch draußen geprintet werden, oder Hochkant-Werbeclips für Smartphones, die mega aufwendig gedreht sind.
Übrigens auch im Bereich Consumer-Handwerk, also dort, wo Produkte "in Aktion" gezeigt werden können. Zum Beispiel bei Gardena, Stihl oder Hornbach. Gerade Hornbach macht das ja sehr erfolgreich. Die Herausforderung ist, dass Baumarktprodukte generell wahnsinnig unsexy sind. Hornbach überhöht diese eigentlich langweiligen Produkte dann auf lustige, fast schon skurrile Weise, indem sie zum Beispiel zeigen, wie jemand die Akropolis baut, aber eigentlich macht er nur eine Fuge im Badezimmer.
Und dann gibt es noch die Produkte, die einfach zu groß für die derzeitigen Fotoboxen sind: LKWs, Landwirtschaftsmaschinen oder Feuerwehrfahrzeuge. Die werden auch noch von Hand fotografiert.
news aktuell: Noch zum Schluss eine persönliche Frage: Wie würdest du denn deine eigene Handschrift beschreiben, was macht den „Schlesinger-Look" aus?
Schlesinger: Meine Bilder haben irgendwie noch diese Realness. Natürlich sind sie immer ein bisschen over the top, aber sie sind tatsächlich alle echt entstanden. Ich will echte Momente mit echten Menschen. Das zieht sich irgendwie durch alle Bereiche, sei es Lifestyle, Interaktion oder Portrait. Und auch meine Autofotos waren immer alles echte Fahraufnahmen. Ich glaube, dass die Bilder immer noch authentisch genug sind und eine gewisse Tiefe zeigen. Und sie sind teilweise provokant, das muss ja das USP sein. Am Ende buchen mich Agenturen und Magazine - sie wollen diese Art von Bildern zeigen und ihren Kunden verkaufen. Das bestätigt mich darin, weiter so zu arbeiten.
Interview: Beatrix Ta