Die Verlegung der Arbeitsplätze ins Home-Office hat unsere Arbeitskultur schlagartig verändert: Begegnungen, Gespräche und Kommunikation sind größtenteils nur noch digital möglich. Einen immer größeren Stellenwert nimmt dabei der Austausch per Chat ein. Hat sich dadurch unser Umgang verändert? Welche Wirkung haben Text und Kommunikation per Chat auf uns? Worauf sollten wir achten?
Bereits vor der Corona-Pandemie wurden Meetings, wichtige Gespräche oder wöchentliche Teamrunden immer öfter nicht persönlich an einem Ort geführt – auch Chat-Tools sind keine große Neuheit. Dennoch haben die vergangenen Monate diese Tendenz nicht nur beschleunigt, sie haben notwendigerweise „In-Person-Kommunikation“ gleich ganz ersetzt. Zurufe, kurze Absprachen und face-to-face Gespräche sind dem Video-Chat oder Telefonat, aber vor allem dem Text-Chat gewichen. Ob, wie und in welchem Maß digitale Formen der Kommunikation genutzt werden, welche Vor- und Nachteile sie bieten: All das bewertet jedes Unternehmen selbst. Fest steht, dass sie aktuell notwendig sind.
In der Linguistik beschäftigt sich ein eigener Zweig mit der Macht, Struktur und Grammatik unserer Sprache und unseres Wortschatzes – die sogenannte „Sapir-Whorf-Hypothese“ beschreibt beispielsweise die Wirkung von Sprache auf unsere Wahrnehmung der Welt. Die entscheidende Frage: Wird unser Denken durch unsere Sprache sogar begrenzt und geformt?
Es dürfte wenig überraschen, dass das geschriebene Wort in diesem Fall einen besonderen Stellenwert einnimmt – wir können uns durch Text gezielter, geplanter und häufig präziser ausdrücken. Da sich die Kommunikation im digitalen Büro durch Corona massiv verändert hat, sollten wir uns im Klaren darüber sein, dass neue und „textlastigere“ Kanäle unsere Kommunikation stark verändern und eine eigene, andere Wirkung besitzen.
Eine Studie des Dortmunder Instituts für deutsche Sprache und Literatur ergab 2007, dass etwa 20 Prozent aller Texteingaben in Chats nie abgeschickt werden – die Relevanz oder Dringlichkeit der Botschaft ändert sich zwischen Texteingabe und Versand in Echtzeit. Genauso wie wir Gedankengänge im persönlichen Gespräch ordnen und verwerfen, so geschieht dies auch bei der schriftlichen Echtzeit-Kommunikation.
Im Vergleich zu anderen Formen der Text-Kommunikation, wie etwa der klassischen E-Mail, ist Chat-Kommunikation jedoch deutlich spontaner, direkter und unmittelbarer. Gleichzeitig fehlen ihr wichtige Mittel des persönlichen Gespräches: Akzentuierung, Witz oder die Emotion der Stimme fallen weg und werden häufig durch den Einsatz von Emojis ersetzt.
Was bedeutet das für die tagtägliche Chat-Kommunikation im Team oder mit den Kollegen? Vor allem, dass wir uns vor Augen führen sollten, wie unsere Texte ankommen und aufgenommen werden – und dass dabei wichtige Stilmittel, Elemente der Einordnung wie Mimik, Gestik oder Tonfall und die Nähe des persönlichen Gesprächs fehlen. Nicht zuletzt haben die vergangenen Monate unsere Geduld und Ausdauer auf eine harte Probe gestellt. Bedachte Formulierungen wie „Hast Du kurz Zeit?" oder „Darf ich Dir etwas schicken?" können dabei helfen, dass zwischen Stress und Zeitdruck keine Missverständnisse entstehen.
In wichtigen oder kritischen Situationen kann es nützlich sein, kurz einen Schritt zurückzutreten und seine Eingabe zu überdenken. Möchte ich das wirklich so formulieren? Wie würde dieser Text auf mich wirken? Wie "tickt" mein Gegenüber? Wie kommt meine Botschaft auf der Sach- aber auch auf der Beziehungsebene bei meinem Chatpartner an? Gänzlich zu ersetzen ist der persönliche Austausch, zum Beispiel per Telefonat, natürlich nicht. Sensible, erklärungsbedürftige oder besonders dringende Dinge sollten weiterhin im direkten Gespräch geklärt werden.
Zurück zu der Wirkung von Texten und Wörtern: Eine Auswertung der amerikanischen Firma „Boomerang“ – ein Plugin zur E-Mail-Verwaltung – ergab im letzten Jahr, dass E-Mails mit einer bestimmten Abschlussformel häufiger beantwortet werden. Eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 2010 bestätigte die Ergebnisse: Enden E-Mails mit einer Dankeschön-Formulierung, steigt die Antwortrate deutlich an. Am häufigsten werden übrigens E-Mails mit der Formulierung „Danke im Voraus“ beantwortet.
In der Chat-Kommunikation werden Gespräche nicht selten offen gelassen – die Unterhaltung ist schließlich nicht „zu Ende“, sie ist weniger verbindlich und es gibt keinen formellen Abschluss. Dennoch: Ein schnelles Dankeschön ist nicht nur freundlich, schnell erledigt und häufig angebracht. Es steigert auch die Wahrscheinlichkeit, dass unser Gegenüber hilfsbereit und kooperativ bleibt.
Autor: Martin Marsmann