Die PR schwört auf das Wundermittel Storytelling. Fast alle Kommunikationsprofis haben sich die Disziplin auf die Fahne geschrieben. Insbesondere in Zeiten des Content Marketing. Doch mal ehrlich: Ist unsere Branche tatsächlich so gut im Geschichten erzählen, wie sie immer behauptet? Und wie funktioniert überhaupt gutes Storytelling? TREIBSTOFF hat sich bei Storytelling-Experten umgehört.
„Storytelling ist auf dem besten Weg, zur Begriffshülse zu verkommen“, warnt Bestseller-Autor Frank Schätzing. Wie bei jedem Hype ahnt man schon länger: Nicht überall, wo Storytelling draufsteht, ist Storytelling drin. Einer der größten Fehler, den Unternehmen immer wieder begehen: Sie machen sich oder ihre Produkte zum Protagonisten der Geschichte. Vor lauter Selbstpreisung komme der Zuhörende zu kurz, meint Schätzing. Die Folge: Er kann sich nicht identifizieren und verliert das Interesse.
Oft scheuen sich Unternehmen auch davor, einen Konflikt darzustellen – neben dem Helden das zentrale Merkmal einer guten Geschichte. Gerade die Schilderung von Problemen erzeugt jene Spannung, die eine gute Geschichte ausmacht. „Kommunikationsabteilungen wollen Lösungen anpreisen. Genau das ist der Grund, warum professionelle Kommunikation meist langweilig ist. Nicht unnütz, aber eben nicht: Storytelling“, sagt Storytelling-Expertin Petra Sammer von Ketchum Pleon. „Wer will schon ein Buch mit 500 Seiten lesen, das über 400 Seiten die Lösung erklärt?“
Narrationsforscher Michael Müller von der Hochschule der Medien in Stuttgart erläutert den Stellenwert des Konflikts am Beispiel der Produktentwicklung: Ein genialer Entwickler hat über Nacht eine geniale Idee und setzt sie dann um. Ergebnis: Ein geniales Produkt. Wie langweilig! Besser man erzähle von den Problemen, die man während der Entwicklung hatte. Oder von den Startschwierigkeiten im Markt, so Müller. „Dadurch hebt man die Leistung des Produkts, aber auch die Leistung, die das Unternehmen selbst erbracht hat, viel stärker hervor.“
Geschichten müssen ihren Zuhörer emotional packen, nur dann bleiben sie hängen und bewirken im besten Fall eine Veränderung in uns. Und das tun sie am ehesten, wenn wir uns mit ihren Helden identifizieren können, unsere Gefühle gespiegelt sehen: „Aber gerade die Werbung strotzt vor Szenarien, die meist grauenvoll konstruiert wirken. Das perlt ab“, kritisiert Frank Schätzing die fehlende Authentizität in vielen Spots. „Storytelling ist die Kunst, in meiner Geschichte im Grunde die Geschichte meines Gegenübers zu erzählen. Dann habe ich seine Aufmerksamkeit“, so Schätzing weiter.
Auch wenn Werbung oft auf kurzfristige Aufmerksamkeit zielt, könne sich die PR in Hinsicht auf Emotionen noch etwas von den Werbern abschauen, meint hingegen Petra Sammer. Gerade Online-PR-Profis würden Stories oft zu nüchtern sehen, als Füllmaterial, das Content Marketing zum Laufen bringt: „Stories werden kühl, rational und berechnend als Click-Rater, als Engagement-Trigger und Download-Garant betrachtet. Sie werden in snackable Snippets leicht verdaulich zerlegt und auf möglichst vielen Kanälen eingespeist. Auf der Strecke bleiben bei diesem effizienten Einsatz meist Immersion, Empathie und Emotion.“
Setzen Unternehmen jedoch nur auf Gefühle, bekommen sie höchstens kurz die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe. „Jede gute Geschichte braucht zu allererst einen Grund erzählt zu werden“, erklärt Petra Sammer: „Fragen Sie sich nach dem ‚Warum’ Ihrer Geschichte. Gehen Sie dem Markenkern Ihrer Marke oder der Vision Ihres Unternehmens auf den Grund.“ Kennen Unternehmen den Sinn und Zweck, der sie antreibt, können sie ihre Botschaften nachhaltig verankern.
Doch warum eignen sich gerade Geschichten für die Vermittlung von Botschaften besonders gut? Geschichten erzeugen Bilder und Emotionen im Kopf– im Gegensatz zu bloßen Fakten. „Im Gehirn kommt es immer auf Verknüpfungen an. Reine Information ist nur limitiert anknüpfbar. Wenn wir sie aber in eine Geschichte verpacken, liefern wir viele Anknüpfungspunkte an bereits vorhandene Gedächtnisinhalte. So kann man die Geschichte viel besser im Gedächtnis abspeichern. Außerdem wird jeder Lernprozess auch durch Emotionen begleitet. Bei der nackten Vermittlung von Fakten werden diese emotionalen Bereiche nicht angesprochen“, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther.
Gutes Storytelling gehört ohne Frage zu den Königsdisziplinen der PR, ist aber keinesfalls Patentrezept für jeden Kommunikationszweck. Daten und Fakten ohne Geschichte drum herum haben durchaus ihre Existenzberechtigung. Nämlich immer dann, so Petra Sammer, wenn Sender und Empfänger die gleichen Interessen teilen und deshalb gewillt sind, Aufmerksamkeit und Zeit zu investieren: „Finanzanalysten wollen keine Geschichten, sondern die Fakten zum Aktienkurs. Investoren oder CIOs wollen keine Story über Investitionsgüter oder Softwareprodukte, sondern die Kernfeatures und Fakten, warum sich das Investment lohnt.“
Sucht man nach den Perlen des Storytelling in der PR, stößt man auf die großen Flagschiffe Coca-Cola, Red Bull, Apple, Google, Ikea oder British Airways, um nur ein paar zu nennen. Aber auch Unternehmen ohne viel Budget können gute Geschichten erzählen. Mit dem „Project Lifejacket“ erzählt die Schweizer NGO „The Voice of Thousands“ die Lebensgeschichte von syrischen Flüchtlingen, illustriert auf Schwimmwesten. Jung von Matt hat das Projekt mit allem, was multimediales Storytelling braucht, umgesetzt: Von Kurzfilmen, Audio-Interviews, Verbreitung über Social Media bis hin zur Ausstellungen der illustrierten Westen. „Sehr schön fände ich es, wenn wir den porträtierten Menschen ihre Lebensweste zurückgeben können, weil ihre Flucht beendet ist und sie für sich und ihre Familie ein Zuhause gefunden haben“, stellt sich Cyrill Hauser von Jung von Matt die Fortsetzung der Geschichten vor.
Und die Zukunft von Storytelling? Auch wenn sich die Bausteine guter Geschichten nicht ändern – mit den neuen Technologien kommen neue Formen des Storytelling hinzu. Unternehmen können ihre Geschichten in verschiedenen Formaten (multimedial), in verschiedenen Medien (crossmedial) und sogar über mehrere Medien hinweg (transmedial) erzählen. Mit jedem neuen Kanal und jedem neuen Medium erleben wir weitere Perspektiven einer Geschichte.
Zudem gibt es zukünftig immer mehr partizipatorisches Storytelling, glaubt Petra Sammer. Wir sind nicht mehr nur passive Konsumenten, sondern werden aktiver Teil von Geschichten und schreiben sie selbst mit fort – ob nun mit Hilfe neuer Technologien wie Augmented oder Virtual Reality, oder ganz traditionell in Form von Text. Frank Schätzing beschreibt es so: „Stories von heute sind eher wie lebende Mosaike. Sie entstehen in Social Networks, in Tweets. Im Moment, wo sie jemand erzählt, werden sie schon tausendfach modifiziert.“
Inhalt Whitepaper "Storytelling":
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