Portraitfotografie - Lernen von den Profis

Sie ist seit mehr als 30 Jahren professionelle Fotografin und hat bereits unzählige Portraitfotos gemacht: Inuit-Kinder, kanadische Soldaten, Berufssportler, Models, Berühmtheiten wie Mike Tyson, Marcello Mastroianni oder Anthony Quinn, um nur einige zu nennen. Die Kanadierin Silvia Pecota verrät uns im zweiten Teil unserer Mini-Blogserie „Portraitfotos – Lernen von den Profis“, auf was es bei dieser Kunst ankommt und warum es noch nie so einfach war wie heute, einfach mal damit zu starten. 

Portrait Photography Silvia Pecota
Silvia Pecota

news aktuell: Wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Pecota: Schon als Kind habe ich mich für Kunst interessiert. Die Berufswahl zur Fotografin traf ich, weil Fotografie einen großen Praxisbezug hat. Damals gab es auch noch viele Arbeitsmöglichkeiten. Ursprünglich besuchte ich die Hochschule für Animation, aber mir wurde schnell klar, dass ich an einem guten Arbeitstag nur 2 Sekunden Ergebnis herausbekam (schmunzelt). Im zweiten Jahr meines Studiums begann ich dann mit der Fotografie. Die Fotografie hat mich auch deshalb gereizt, weil man solo arbeiten kann. Und dann liebte ich natürlich das Verfahren. Damals war es eine sehr „unmittelbare“ Sache, Fotos analog zu machen und sie in der Dunkelkammer zu entwickeln. 

news aktuell: Welche persönliche Bedeutung hat die Portraitfotografie für Sie?

Pecota: Bei der Portraitfotografie geht es mir immer darum, die Schönheit der Person einzufangen. Selbst bei objektiv betrachtet weniger attraktiven Menschen versuche ich, das Motiv mit Würde darzustellen und mich dabei auf die Stärken des Einzelnen zu konzentrieren. Sportler ziehen mich an, weil sie im klassischen Sinn schön sind. Im antiken Griechenland wurde Schönheit durch ausgewogene Proportionen definiert. Die Schönheit der menschlichen Gestalt galt als Inspiration für Kreativität. Was meinen Stil beeinflusst hat ist die italienische Renaissance: Licht, Komposition, Ausdruck, Farbe... Die Renaissance ist eine Epoche in der Kunstgeschichte, die einfach Schönheit ausstrahlt.

news aktuell: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Portraitfotos?

Pecota: In der Portraitfotografie versuche ich immer, die individuellen Merkmale des Portraitierten zu ergänzen. Die Celebrity- und Unternehmensfotografie ist ja grundsätzlich eine Fotografie, die sich auf das Komplementäre konzentriert. 

Bei den Menschen, die aus eher schwierigeren Lebensverhältnissen kommen, zeige ich weniger die äußeren Umstände, die oft von Armut geprägt sind. Das sind zum Beispiel Boxer beim Training in den Fitnessstudios der ärmeren Stadtviertel oder auch Inuit-Kinder- oder Ältere, die in unbeheizten Häusern mit erschwertem Zugang zu Nahrung und Trinkwasser leben. Ich versuche vielmehr, mich auf ihre Resilienz, also ihre Widerstandsfähigkeit zu konzentrieren. Ihr roher Ausdruck in der Umgebung, in der sie leben, kann eine solche Geschichte erzählen.... und kann genauso verlockend sein (wenn nicht sogar mehr) als jede Glamourkulisse. 

Portrait Photography Silvia Pecota

Portrait Photography Silvia Pecota






















Es ist immer wichtig, die Bedingungen der Umgebung zu spüren. Während meines Studiums an der Universität in den 80ern trainierte ich in einem Boxstudio - das war, bevor die Sportart populär wurde und es in den Fitnessstudios einen eigenen Waschraum für Frauen gab. Ich wollte den Sport und diejenigen, die in diesem Umfeld trainierten, verstehen; deshalb wurde ich sozusagen ein Teil von ihnen. Die Boxer fühlten sich sehr wohl, und wenn sie für mich posierten, waren sie sehr entspannt und es entstand eine Art "Verbindung". Sie öffneten mir quasi ihr „Inneres Ich“. Ich wurde sehr respektiert, auch weil ich ihnen immer Fotos zur Verfügung stellte, so dass viele darauf erpicht waren, für mich (und meine Uniprojekte) zu posieren. Schließlich arbeitete ich freiberuflich für eine Zeitung (The Toronto Sun) und portraitierte oft die Athleten. 

In der kanadischen Arktis begann ich zu fotografieren, weil ich Hockey-Spiele für dortige Gemeinden organisierte. Diese Zusammenarbeit schuf Vertrauen. Wichtig ist (so wurde mir später gesagt), dass ich "mehr in diese Gemeinden hineingetragen als weggenommen habe". 

Portrait Photography Silvia Pecota

Ähnlich war es mit dem kanadischen Militär, bei dem ich zwei Wochen an einem Bootcamp teilnahm. Schließlich konnte ich mit einer Einheit nach Afghanistan reisen und zwischen 2006 und 2013 bei fünf verschiedenen Gelegenheiten als Embedded Fotografin dabei sein. Ich habe auch mit den Streitkräften in Kanada trainiert, habe in den kalten Wintern (bei -20 Grad Celsius) in den Zelten geschlafen und unter den gleichen Bedingungen wie sie gelebt. Ich habe immer versucht, ihre Seele zu "berühren", sprich das "Gefühl", das sie durchlebt haben, selbst zu „spüren“. Außerdem habe ich nie zusätzliche Privilegien in Anspruch genommen: Essen und Schlafen unter den gleichen Bedingungen. So habe ich mir ihren Respekt und ihr Vertrauen verdient.

news aktuell: Wie würden Sie Ihre persönliche fotografische Handschrift beschreiben?

Pecota: Ich glaube, es ist meine Beleuchtung, die meine Arbeit definiert. Eine dramatische Beleuchtung im Stil von Rembrandt oder Caravaggio.

news aktuell: Sie haben bereits viele Menschen portraitiert - darunter viele Prominente, die wahrscheinlich "kameraerprobt" sind. Was sind die besonderen Herausforderungen bei Prominentenportraits?

Pecota: Die Herausforderung bei Prominenten und hochkarätigen Sportlern ist ihre begrenzte Zeit. Einmal bin ich mehr als zehn Stunden nach Washington DC gefahren bin, um zwei Minuten mit Sugar Ray Leonard zu verbringen. Das war noch die Zeit der Analogkameras, in der die Belichtung mit Polaroidaufnahmen getestet wurde. Da durften keine Fehler passieren. Man musste bereit sein. Das war sehr stressig. Idealerweise hätte ich in so einem Fall einen Assistenten gehabt, der nicht nur posiert, sondern auch beim Aufbau der Beleuchtung geholfen hätte. Ich habe immer Beleuchtungsgeräte mitgebracht, die sperrig und schwer waren. Man muss für den Fall einer Panne mit der Ausrüstung immer einen Plan B haben. Probleme konnte es immer geben mit den Stromkabeln oder der Blitzabhängigkeit und mit Dia Film hattest du nur eine 1/3 Belichtungstoleranz. Man musste also die exakten Blendenstufen und Bildgeschwindigkeiten genau kennen. Ein enormer Arbeitsaufwand und Druck für zwei Minuten Material...manchmal sogar weniger.

news aktuell: Das Fotografieren von Menschen erfordert viel Einfühlungsvermögen. Vor allem, wenn es sich um Menschen handelt, die nicht so „kameraerprobt“ sind. Wie lockern Sie sie auf?

Pecota: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass sich die portraitierten Menschen wohl fühlen. Idealerweise hat man vorher Zeit, mit ihnen zu sprechen, etwa über ein gemeinsames Interesse, oder über die Garderobe, oder man zeigt ihnen Beispiele für Posen aus Referenzmaterial. Dann werden sie warm und ich entdecke einen Ausdruck, der am besten zu ihnen passt, und versuche dann, eine Pose nachzustellen, die mit leichten Variationen funktioniert. Ich konzentriere mich in erster Linie auf die Hände und die Augen. Athleten lassen sich am einfachsten posieren, da sie sich in ihrem Körper am wohlsten und sichersten fühlen. Wenn ich Frauen portraitiere, versuche ich immer einen Haar-Stylisten und Visagisten dabei zu haben. 

news aktuell: Sie bieten auch so genannte "künstlerische Portraits" an - d.h. Portraits, die auf der Grundlage eines Fotoportraits (via Photoshop) künstlerisch verfremdet werden. Was sind für Sie die besonderen Herausforderungen bei der Produktion und Erstellung dieser Kunstwerke?

Pecota: Photoshop konnte ich aufgrund meines künstlerischen Hintergrundes relativ leicht erlernen. Sobald man die Grundlagen kennt, gibt es endlose Möglichkeiten. Die Magie liegt darin, wie man alle Elemente in der Komposition nahtlos ineinanderfließen lässt. Der Schlüssel liegt darin, die Ebenen/Elemente sowohl bezüglich Perspektive als auch Beleuchtung konsistent zu halten. Ich verwende einen WACOM-Bildschirm mit einem Stift, der als Pinsel fungiert, und male digital, um alle Ebenen/Elemente durch Hinzufügen von Glanzlichtern und Schatten und Details wie etwa Gras, Nebel, Haarsträhnen oder wehende Bänder ineinander zu „verzahnen".

Portrait Photography Silvia Pecota

news aktuell: Welche Kameraausrüstung würden Sie Anfängern empfehlen?

Pecota: Für einen Anfänger jede Kamera, die man sich leisten kann, auch eine gebrauchte mit manuellen Einstellungsmöglichkeiten. Am besten ist es, am Anfang nicht zu viel Geld zu investieren. Experimentieren Sie mit einer billigen Kamera und lernen mit dieser, die verschiedenen Funktionen zu verstehen. Dann können Sie viel besser beurteilen, welche Kamera für Ihre Zwecke die beste ist. Entscheidend ist ein langes Portraitobjektiv, mindestens ein 105mm-Objektiv. Zumindest ist das mein Stil. Es lässt den Hintergrund verschwimmen und betont gleichzeitig das Gesicht optimal.

news aktuell: Was sollte man in Bezug auf die Beleuchtung beachten? 

Pecota: Sie ist der Schlüssel. Nimmt man die ursprüngliche, griechische Bedeutung des Wortes Fotografie, dann wird das nochmal klar: "Photo" = Licht "Graphia" = Zeichnung. Ich liebe dramatische Belichtung, deshalb ist für mich essentiell eine einzige dominante Hauptlichtquelle zu haben. Wenn man nur begrenzten Zugang zu einer Lichtquelle hat, können Reflektoren oder sogar eine weiße Styroporplatte helfen, das Objekt auszuleuchten. Am Anfang sollte man es einfach halten und nur eine primäre Lichtquelle nutzen. Wenn man ein Gefühl dafür entwickelt hat, wo man das Licht platziert und wie dieses Licht auf das Gesicht/Objekt wirkt, kann man experimentieren. Der Winkel des Gesichtes ist am wichtigsten und muss mit der Beleuchtung zusammenspielen. Licht und Pose stehen in einer symbiotischen Beziehung zueinander.

Portrait Photography Silvia Pecota

news aktuell: Was halten Sie von der 2/3 Regel?

Pecota: Regeln sind gut, und man muss sie lernen und verstehen... um sie dann intelligent zu brechen. Aber Symmetrie, wie sie die Drittelregel vorgibt, kann auch am effektivsten und wirkungsvollsten sein. Es geht darum, wie man das Auge des Betrachters kontrollieren will. Farbe und Schatten und Glanzlichter und Lichter und Formen und Muster führen das Auge des Betrachters zu dem Punkt, der ihn interessiert. Das ist es, was etabliert werden muss. Die Drittelregel ist ein guter Baustein für den Anfang.

news aktuell: Welche Brennweiten bevorzugen Sie?

Pecota: Ich persönlich mag lange Linsen. Portraitobjektive haben gewöhnlich eine Brennweite von 105 Millimetern. Je länger die Linse, desto unschärfer kann der Hintergrund sein. Ich persönlich blende gerne den Hintergrund aus. Dadurch gibt es kaum Ablenkung und der Betrachter konzentriert sich auf das Thema. Je länger die Linse also ist, desto besser. Das erfordert dann aber möglicherweise ein Stativ, da die Kamera mit langem Objektiv sehr schwer werden kann, was besonders bei schlechten Lichtverhältnissen und einer Verschlusszeit von 1/125 oder 1/60 oder weniger eine Herausforderung ist. Am besten experimentieren Sie und sehen sich die Ergebnisse unter verschiedenen Lichtverhältnissen an.

Portrait Photography Silvia Pecota

news aktuell: Welche Perspektive hat welche Wirkung? Und gibt es eine Perspektive, die nie funktioniert?

Pecota: Ich fotografiere grundsätzlich immer aus einer niedrigen Perspektive. Meine Kamera befindet sich vielleicht nur ein paar Meter über dem Boden und auf einem Stativ. Was funktioniert und was nicht, hängt vom Stil des Fotografen ab. Das Experimentieren mit einer Digitalkamera kostet nichts. Früher kostete jede Filmrolle mit 36 Aufnahmen etwa 25 Dollar... und das war vor 30 Jahren. Also keine Entschuldigung dafür, nicht zu experimentieren und seinen eigenen Stil zu finden.

news aktuell: Die digitale Fotografie bietet unzählige Möglichkeiten der Nachbearbeitung. Welche "Verbesserungen" halten Sie für sinnvoll?

Pecota: Mit der Digitaltechnik ist es einfach, Belichtung und Farbe, ja sogar die Schärfe innerhalb von Sekunden anzupassen. Im Idealfall ist die Aufnahme perfekt belichtet, also vermeiden Sie am besten eine Überbelichtung, da Details nicht mehr erkennbar sein werden, wenn das Motiv ausgebleicht ist. Unterbelichtung erlaubt immer noch Flexibilität bei der Korrektur. Sie kann aber auch Körnigkeit verursachen. In Stresssituationen sollte man, um sicher zu gehen, eine Belichtungsreihe machen. 

Interview: Beatrix Ta

Schon für die besten PR-Bilder des Jahres abgestimmt? Hier geht es zum Voting für den PR-Bild Award 2020.