Der Newsroom als Kommunikationszentrale setzte sich in den letzten Jahren immer mehr durch. Ein wichtiges Merkmal kam dabei den gemeinsamen Raum in der analogen Welt zu, der bisherige Silos überwinden und eine ganz andere und eigene Dynamik erzeugen sollte. Über ein Jahr standen die meisten Corporate Newsrooms nun leer, dennoch haben die Unternehmen weiter kommuniziert – teilweise sogar deutlich mehr. Christoph Moss von Mediamoss hat die Einführung von über 100 Corporate Newsrooms begleitet. Von ihm wollten wir wissen, wie das Konzept weiterentwickelt wird.
news aktuell: Das Newsroom-Konzept war und ist nicht an einen gemeinsamen physischen Raum gekoppelt, oder?
Moss: Newsroom heißt nicht sofort große Fläche. Die Idee des Corporate Newsroom funktioniert sehr gut, ohne dass alle Menschen gleichzeitig in einem physischen Raum sitzen. So hat DATEV schon im Jahr 2014 die Idee ausdrücklich auch für das Home-Office mitgedacht. Der Versicherer R+V hat einen Newsroom, der bis heute nicht in einem gemeinsamen Raum stattfindet. Und Swiss Life Deutschland hat von vornherein die Standorte in Hannover und Garching im Newsroom virtuell zusammengeschaltet. Alle Varianten funktionieren und sind sehr dynamisch.
news aktuell: Welches Mindset sollte Ihrer Meinung nach also hinter dem Konzept stehen?
Moss: Wir sagen ja gern: Der Newsroom beginnt im Kopf. Die Idee ist, dass die Organisation sich stetig weiterentwickelt. Da wir uns um Themen herum organisieren, ändert sich der Zuschnitt früher oder später. Damit bleibt der Newsroom beweglich. Bereitschaft zu Veränderung, Wissen teilen, Fehler erlauben, Kontrolle abgeben und selbst entscheiden sind wichtige Prinzipien.
news aktuell: Bereitschaft zur Veränderung ist ein gutes Stichwort. Das Newsroom-Konzept wird sich nach der Pandemie-Erfahrung weiterentwickeln müssen. Welche Rollen und welche Bereiche sollten im physischen Newsroom zukünftig zusammensitzen? Welche Form der Anwesenheit ist tatsächlich zwingend nötig, welche nicht?
Moss: Die CvD-Rolle sollte gut und schnell erreichbar sein und wäre damit erste Wahl für den physischen Newsroom. Im Prinzip ist das aber zweitrangig, solange die technische Ausstattung eine Zusammenarbeit über räumliche Grenzen hinweg erlaubt. Dies ist ja nicht nur ein Pandemie-Thema. Große Corporate Newsrooms müssen über regionale Grenzen und sogar über Kontinente hinweg funktionieren.
news aktuell: Großraumbüros funktionieren sicherlich gut für Koordination, Planung und Steuerung. Aber hat sich nicht auch gezeigt, dass sie insbesondere für kreative Content-Produktion eher kontraproduktiv sind?
Moss: Großraumbüros sind in der Tat eher funktional. Wer schreibt, braucht Ruhe. Wer Ideen entwickeln will, ebenfalls. Deshalb bieten gut geplante physische Newsrooms immer Rückzugsräume. Außerdem ist nicht gesagt, dass alle Teams gleichzeitig in einem großen Raum zusammensitzen müssen. Newsroom ist eine Denkhaltung. Der Begriff Raum ist nicht zwingend physisch zu verstehen. Es gibt auch virtuelle Räume, und der Newsroom gehört dazu.
news aktuell: Welche neuen Funktionen könnten dann die physischen Newsroom-Räume in Zukunft einnehmen?
Moss: Vor allem Steuerung und Koordination. Der physische Newsroom ist die Herzkammer. Gerade in Krisensituationen kann physische Präsenz wichtig sein. Wir sollten nicht vergessen, dass Menschen soziale Wesen sind, die sehr gern miteinander kommunizieren und im selben Raum arbeiten. Ich würde dazu raten, allen Mitarbeitenden einen Platz im physischen Newsroom zu reservieren. Was spricht dagegen, wechselweise vor Ort und dann wieder von Zuhause zu arbeiten?
news aktuell: Apropos soziale Wesen: Wie wird zukünftig das Soziale neu organisiert werden müssen, wenn physische Anwesenheit nicht mehr zwingend ist?
Moss: Das ist ja ein grundsätzliches Thema in allen Unternehmen. Wenn die Teams komplett physisch vor Ort sind, gibt es kein Problem. Wenn alle gleichzeitig von zuhause aus konferieren, funktioniert es auch. Anspruchsvoll wird es, physische und virtuelle Arbeit zu verknüpfen. Wie gut funktionieren hybride Videokonferenzen wirklich? Da gibt es bis heute Grenzen, die vor allem technischer Natur sind. Passen Ton und Bild? Wie komfortabel lassen sich Inhalte teilen? Dies ist vor allem auch hier wieder ein technisches Thema, das sich früher oder später lösen wird.
news aktuell: Welche Eigenschaften brauchen Newsroom-Mitarbeiter*innen, wenn sie hauptsächlich virtuell zusammenarbeiten? Und welche Teamkultur braucht ein Newsroom-Team, um auch zukünftig flexibel und effizient zusammenzuarbeiten?
Moss: Das haben wir in der Pandemie-Zeit ja gelernt: Eigenmotivation und Disziplin sind sehr wichtig. Es ist auch hier eine Frage der Führung: Kontrolle oder Vertrauen? Ansage oder selbstbestimmte Entscheidung? Ich bin ein Fan davon, trotz Home-Office gemeinsam optisch aufzutreten. Zum Beispiel mit stimmigen Hintergründen.
news aktuell: Hatten Sie im vergangenen Jahr Einblick in die Praxis? Wenn ja, wie haben Unternehmen aus Ihrer Erfahrung die Umstellung in den letzten Monaten geregelt? Haben “Newsroom-Unternehmen” vielleicht sogar eine etwas einfacherer Umstellung gehabt, weil sie das entsprechende Mindset bzw. die passenden Strukturen bereits innehatten?
Moss: Ich hatte in der Pandemie-Zeit sehr viel Einblick in die Praxis. Die Unternehmen waren dankbar, dass sie eine Newsroom-Struktur haben. Sie sehen einen immensen Vorteil gegenüber herkömmlichen Abteilungen, weil sie alles mitbringen, um virtuell miteinander arbeiten zu können. Sie teilen Wissen, sie kommunizieren, sie helfen sich, und sie können schnell auf neue Situationen reagieren. MERCK ist ein prima Beispiel dafür. Dort hat die Newsroom-Koordination als einzige physisch im Büro gesessen. Alle anderen Personen waren überwiegend zuhause. Es hat wunderbar funktioniert.
news aktuell: Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Beatrix Ta